Der Landkreis La Garrotxa zählt 40 Vulkane und begeistert Individualtouristen, die sportliche Betätigung und Erholung suchen. Auch Kulinarisch hat er einiges zu bieten
Es ist Vormittag, als ich durch Castellfollit de la Roca laufe. Die Gasse wird immer enger. An einem Haus ist ein Schild „Pochs Mikrobrauerei“ angebracht. Wie zum Beweis hat jemand gegenüber zwei Eimer mit Maische-Resten abgestellt. Meine Neugierde ist geweckt. Zufällig tritt aus dem Hauseingang ein bärtiger, junger Mann heraus. Francesc, wie sich herausstellt, der Inhaber der Brauerei.
Castellfollit wurde auf hoch hinausragenden Basaltsäulen errichtet. Schon von Weitem ist der Ort nicht zu übersehen. Wir befinden uns im Landkreis La Garrotxa, ausgesprochen La Garrotscha. Nur die Wenigsten dürften den etwas sperrigen Namen schon einmal gehört haben. 40 Vulkane liegen verstreut auf wenigen Quadratkilometern. Vulkanismus begegnet dem Reisenden hier in vielen Facetten: geologisch, künstlerisch und kulinarisch. Die französische Grenze und das Mittelmeer sind Luftlinie gerade einmal 40 Kilometer entfernt, die bekannten Touristenziele an der Costa Brava keine 80 Kilometer. Nach Norden schließen sich die Pyrenäen an. Ich spreche Francesc an, ob ich einen Blick in seine Brauerei werfen könnte. Er sagt bereitwillig zu und wir steigen hinab in seinen Braukeller.
Der Raum ist schmucklos, die Theke aber in helles, gelbes Licht getaucht. Auch die Wände sind in kräftigem Gelb gestrichen. Ich frage ihn, wie er zu der Brauerei gekommen ist. Er erzählt, dass er Maschinenbau studiert hat, aber keine Arbeit in seinem Fach fand.
„Deshalb fing ich 2012 an, das zu machen, was mich interessierte: Bier brauen“, erzählt er.
Nach drei Jahren Gold und Silber
Und das macht er seither mit Erfolg. Bereits nach drei Jahren gewann er auf dem Dublin Craft Beer Cup seine ersten Gold- und Silber-Medaillen.
Auch zu Hause verkauft sich sein Bier von Jahr zu Jahr immer besser. Er liefert es in die nähere Umgebung aus und bis nach Barcelona. Auf der Theke und in Wandnischen stehen von jeder seiner Biersorten ein paar Musterflaschen. Die Etiketten sind künstlerisch-fantasievoll gestaltet: Einige zeigen eine idealisierte Silhouette aus Basaltsäulen und Häusern, wahlweise in Blau-, Grün- oder Orangetönen; auf anderen sind schrille Fantasiefiguren abgebildet. Eine Grafikdesignerin aus dem Ort hat sie entworfen, kleine Kunstwerke. Ich finde, das ist ein positives Beispiel für Wirtschaften, so funktioniert lokale Wertschöpfung. Francesc zeigt mir seine zwei Braukessel aus glänzendem Chrom und bietet mir an, sein Bier zu verkosten. Da am Ortsrand mein Cinquecento wartet, probiere ich nur ein paar Schlucke. Zurück auf der Gasse setze ich meinen Weg fort, Richtung Aussichtsplattform am Ende des Ortes und werfe einen Blick in die Umgebung. Weit unterhalb fließt der Río Fluvià.
Ein Bummel durch Besalú
Eine kurze Fahrt am Río Fluvià entlang und ich erreiche Besalú, eine Stadt mit einer römischen, jüdischen und mittelalterlichen Geschichte. Einige Fundamente jüdischer Gebäude sind freigelegt und können im Vorbeigehen besichtigt werden. Heute zählt Besalú knapp 2.500 Einwohnerinnen und Einwohner. Mittlerweile ist es heiß geworden. Schnell erreiche ich die Gassen der Altstadt und stehe vor der Kirche Sant Vicenç. Sie ist aus hellem, freundlichem Stein erbaut. Ihr Hauptportal ist romanisch, weiter oben ist ein gotisches Spitzbogenfenster zu sehen. Auf einer niedrigen Mauer neben der Kirche stehen Blumentöpfe, ein paar Bäume spenden Schatten. Ich lasse alles auf mich wirken und könnte noch mehr Zeit hier verbringen, aber mein Plan für heute sieht noch viel vor. Schließlich gelange ich an den Río Fluvià, an dessen Ufer sorgfältig bepflanzte Schrebergärten in der Sonne liegen. Vom gegenüberliegenden Ufer springen Jugendliche ins Wasser.
Die Brücke etwas flussabwärts weiß alle Blicke auf sich zu ziehen, denn manches ist ungewöhnlich an ihr: Ihre Bögen weisen unterschiedliche Spannweiten auf, in ihrem 105 Meter langen Verlauf knickt sie zweimal ab, wodurch sie so wirkt als schlängele sie sich über den Fluss. Es lohnt sich, etwas Zeit auf ihr zu verbringen. Am anderen Ende der Brücke steht ein stattliches Gebäude mit schmiedeeisernen Balkongittern. In seinem Biergarten spenden Nadelbäume und Sonnenschirme Schatten. Selbst die bewachsene Mauer, die den Garten umgibt, vermittelt schon beim bloßen Anblick etwas Kühle.
Wald soweit das Auge reicht
Eine Reportage über La Garrotxa wäre nicht vollständig, ohne den Wald zu erwähnen. Viele der Berghänge sind dicht bewaldet und vermitteln den Eindruck, als wären es tropische Regenwälder, die sich da hügelauf- und hügelabwärts ziehen. Die Ausläufer der Pyrenäen sind hier bereits so niedrig, dass die natürliche Baumgrenze nicht erreicht wird. Nur an wenigen steil abfallenden Hangpartien tritt nackter Fels hervor. Schon bei der Anreise fällt mir der Waldreichtum auf, aber erst recht während zweier Wanderungen, die ich mit Joan unternehme. Joan ist passionierter Wanderer und Mountainbiker. Die Geologie und die Flora seiner Heimat kennt er bestens. „Mein Großvater hat mir mein Wissen beigebracht“, sagt er. Und damit wahrscheinlich auch die Begeisterung für die Natur.
Unsere erste Wanderung führt uns in die Gegend von San Privat d‘en Bas, einem kleinen Weiler im Südwesten. Nach einer viertel Stunde kommen wir an einem Wasserfall vorbei, der in kurzen Bahnen in ein flaches Naturwasserbecken stürzt. Das Wasser ist teils glasklar, teils smaragdgrün. Wir halten nur kurz an und folgen sobald einem Trampelpfad, der sich nach wenigen Metern in die Höhe windet. Nach einiger Zeit öffnet sich der Blick auf die Berghänge der Umgebung:
Wald soweit das Auge reicht. Joan erläutert, dass hier Eichen, Steineichen, Buchen und Buchsbaum wachsen. Am nächsten Tag machen wir uns auf nach Oix, einem kleinen Ort im Norden.
Landflucht schafft Geisterdörfer
Zunächst ruckeln wir mit dem Auto über eine holprige Piste und werden dabei mächtig durchgeschüttelt. Bald darauf lassen wir es stehen und setzen den Weg zu Fuß fort. Unterhalb der Piste erstreckt sich ein staubiges, ausgetrocknetes Flussbett; es ist Ende Juni und die Sonne scheint intensiv. Wir gelangen zur kleinen Kirche Santa Maria d‘Escales aus dem elften Jahrhundert. Eine kleine Lucke in der Holztür gestattet den Blick in das Innere der Kirche. In das schmale Kirchenschiff fällt schummriges Licht durch drei kleine Fenster
Nach etwa zwei Stunden erreichen wir das Dorf Talaixà. Auf einer Wiese packen wir unsere Lunchpakete aus und halten ein kleines Picknick ab. Der Aufstieg war anstrengend. Hier erholen wir uns. Joan weist mich darauf hin, dass Talaixà ein Geisterdorf ist. Mich elektrisiert die Vorstellung immer wieder, dass alle Einwohner ihren Ort verlassen und leere Häuser zurückbleiben. In Manchen wohnen nur noch eine Handvoll Menschen, manchmal sogar nur eine einzelne Person. Viele ländliche Räume Spaniens sind strukturschwach und kämpfen mit der Abwanderung ihrer Bewohner in die Städte, insbesondere nach Barcelona und Madrid.
Von vulkanischen Böden zur Vulkanküche
Dass die Region kulinarisch keine Rolle spielte, wollten 1994 einige Köche im Landkreis nicht mehr hinnehmen. Valencia hat die Paella, sie können mit keinem typischen Gericht aufwarten. Auf dem zweiten katalanischen Kochkongress beschlossen sie deshalb, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Sie überlegten, was für ihre Region typisch ist und kamen darauf, dass gerade auf ihren nährstoffreichen, vulkanischen Böden gute Produkte wachsen, wie zum Beispiel Buchweizen – der in Spanien sogar nur bei ihnen wächst. Die Vulkanküche war geboren. Ich möchte sie ausprobieren und Joan empfiehlt mir, nach Els Hostalets d’en Bas ins Restaurant von Josep und David zu fahren.
Josep, der Vater und David, sein Sohn servieren mir einen Gang nach dem anderen, ein Menü, das nicht auf der Karte steht. Ich überlege schon, wie ich ihnen höflich beibringe, dass ich bald genug habe, als sie von selbst vorschlagen, die Nachspeise zu bringen. Doch vorher noch ein Zwischengang zum Läutern der Geschmacksnerven. Ich nehme mir vor, das Abendessen ausfallen zu lassen. Die Nachspeise ist eine kleine Überraschung: David serviert eine Art Schokoladenkuppel, die er am Tisch an einer Stelle zum Schmelzen bringt und erläutert „Das hier ist ein Vulkan“. Heraus ergießt sich ein Schokoladenstrom.
Zurzeit gehören der Bewegung acht Restaurants an. „Es können sich uns Restaurants anschließen, die mindestens 30 Prozent der Gerichte aus Zutaten anbieten, die auf den vulkanischen Böden hier gewachsen sind. Und am besten auch biologisch erzeugt wurden, wobei das nicht immer geht, weil es bisher zu wenige Erzeuger davon gibt“, schildert Josep.
Mit dem Fesselballon über Eierbecher
Eine touristische Attraktion ist wohl eine Fahrt im Fesselballon über die Vulkane. Mir bleibt das Vergnügen verwehrt, weil ich mich noch nicht einmal in einen Sessellift setze. Von Luftaufnahmen weiß ich aber, dass die Vulkane von oben betrachtet wie Eierbecher aussehen. Auch sie sind größtenteils bewaldet. Über La Garrotxa zu fliegen muss ein Erlebnis sein, besonders im Herbst, wenn sich das Laub bunt färbt. Um wenigstens ein paar vulkanische Landschaftserlebnisse einzufangen, fahre ich nach Santa Pau. Der kleine Ort liegt an einer ruhigen, wenig befahrenen Landstraße und ist Ausgangspunkt vieler Wanderungen. In einem Bogen von Südost nach Nordwest um den Ort herum liegen die Vulkane wie auf einer Perlschnur aufgereiht. Mein Ziel ist der Vulkan Santa Margarida, auf dessen Kraterboden eine kleine, romanische Einsiedlerkirche steht.
Beim Abstieg in den Kraterboden fällt mir an der Böschung die mächtige Schicht rötliche, vulkanische Asche auf. Noch mehr Vulkanismus geht kaum. Francesc hat übrigens mit seinem Bier Basalt Imperial Stout die Goldmedaille geholt.
Wer mehr lesen möchte …
Olot ist die größte Stadt in La Garrotxa. Schon auf der Durchfahrt überrascht sie: Eine ihrer Hauptverkehrsachsen, der Passeig de Barcelona, wird von einer langen Platanenallee und prächtigen Wohnhäusern gesäumt. Auf ihrem Stadtgebiet befinden sich einige Vulkane; auf den Vulkan Montsacopa führt ein Fußweg hoch. Wer sich für Jugendstil interessiert, wird in der Altstadt fündig: Hier gibt es einige Häuser im Stil des Modernismo, dem spanischen Jugendstil. Das Museo de la Garrotxa, das Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen aus dem 19. und 20. Jahrhundert von Künstlern aus Olot ausstellt, steht noch auf meiner Liste unerledigter Dinge. Wenn das Museum so gut ist wie seine Website, – siehe Tipps & Links -, dann nichts wie hin.
Radweg Olot – Girona Zwischen Olot und Girona verläuft auf einer ehemaligen Bahntrasse ein 56 Kilometer langer Radweg. Ich bin ihn noch nicht gefahren. Auch ein Grund wiederzukommen.
Tagesausflüge (außerhalb von La Garrotxa, aber in der Nähe): Figueras Geburtsstadt von SalvadorDalí. Eine quirlige Innenstadt mit vielen, kleinen Geschäften, Bars und Restaurants. Olot – Figueras: 45 Km. Girona Für mich die Entdeckung (und eine eigene Reportage wert). Die Stadt hat viele Gassen, durch die zu bummeln Spaß macht. Girona gehört zu den wenigen Städten, die noch eine begehbare Stadtmauer haben. Wer sich etwas länger in Girona aufhält, spaziert wahrscheinlich mehr als einmal auf ihr herum. Und wer ein Faible fürs Extreme hat: Das Restaurant El Cellar de Can Roca wurde 2013 und 2015 als bestes Restaurant der Welt ausgezeichnet. Offen gestanden habe ich für solche Auszeichnungen nicht viel übrig. Ich verstehe aber, wenn andere sich dafür interessieren. Olot – Girona: 60 Km.
Ein Blick über den Tellerrand
Wer sich für die Landflucht in Spanien interessiert, dem sei dieses Interview empfohlen. Verstand man bisher unter Landflucht den Wegzug aus dem ländlichen Raum in die Städte, hat sie mittlerweile eine neue Stufe erreicht, nämlich dass die Menschen die Städte in Richtung Metropolen, also zum Beispiel Madrid, verlassen. In diesem Interview spricht der Geografie-Professor Sergio Tomé über die Probleme der Stadt León.
Transparenzhinweis: Ich finanziere meine Reisen selbst. Für Empfehlungen erwarte und erhalte ich keine Gegenleistung. Ausnahme kennzeichne ich. Josep & David aus dem Restaurant l’Hostalet wollten nicht, dass ich das Mittagessen bezahle.
Tipps & Links
Infomaterial
NO 1: Die offizielle Homepage von La Garrotxa: darin enthalten eine Übersicht über Apps.
NO 2: Ein informativer und anregender Prospekt über La Garrotxa mit vielen praktischen Adressen (auf Spanisch), sehr nützlich für die Reisevorbereitung. Wer kein Spanisch versteht: alleine die Bilder animieren.
Aktiv unterwegs
NO 3: Auf die Beschilderung der Wanderwege um Santa Pau sollte man sich nicht verlassen. Wanderkarten und Wegbeschreibungen gibt es unter es.turimegarrotxa.com unter „Qué hacer“. Viele Routen bietet die Wanderapp. Zunächst ist sie auf Katalanisch eingestellt. Unter „Configuració“, dann „Ajustos“ kann sie auf Englisch umgestellt werden. Leider nicht auf Deutsch erhältlich.
NO 4: Wer auf diese Seite geht, erhält einen hervorragenden Überblick über die Museen in Olot
NO 5: Informationen über den Radweg Olot – Girona . Diese privat betriebene Website enthält viele Radwege auf ehemaligen Bahntrassen, nicht nur in Spanien.
Essen & trinken
NO 6: Informationen über die Vulkanküche, auf Katalanisch „cuina volcánica“. Die Seite gibt es nur auf Katalanisch. Beim Aufrufen mit Google erscheint oben rechts die Abfrage, ob die Seite ins Deutsche übersetzt werden soll. Wer mit einer anderen Suchmaschine surft, dürfte dennoch viel verstehen. Über Links kann man einen Blick in die Restaurants werfen. Sehr animierend auch das.
NO 7: Restaurant L’Hostalet von Josep und David https://www.restaurantlhostalet.com/
NO 8: Restaurant Amb els 5 sentits in der Carrer Abat Zafont 8 in Besalú. Ein kleines, ungewöhnliches Restaurant, lässt es doch keine Wahlmöglichkeit. Serviert wird einzig und alleine ein Fünf-Gänge-Menü.. Ich hatte zweimal das Vergnügen, dort zu essen und habe mich beide Male sehr wohl gefühlt. Nicht nur das Essen ist gut, auch das Ambiente.
ÖPNV
NO 9: Zwischen Olot und Santa Pau verkehrt an Werktagen der Bus „Ruta de los volcanes“.
NO 10: Busverbindungen der Busgesellschaft Teisa von und nach Olot von Montag bis Freitag (auf Spanisch, Englisch, Französisch)
Und nun zu Euch, liebe Leserinnen und Leser:
Wer war schon einmal in La Garrotxa? Was gefiel euch am besten oder auch nicht? Wer noch nicht da war: Worauf seid ihr neugierig geworden?
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Das freut mich, Patricia. Die vielen Störche in Zamora sind faszinierend, man sieht sie überall auf den Dächern. Wenn du…
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Sehr schön, Maria. Ich bin auch nicht zum letzten Mal da gewesen!
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