Reisen

Baskenland einmal kreuz und quer

Das spanische Baskenland hat mehr zu bieten als seine Besuchermagnete San Sebastian und Bilbao: Entspanntes Wandern durch zahlreiche Naturparks nämlich

Es ist früher Abend, als wir im spanischen Grenzort Hondarribia ankommen. Das Hotel liegt mitten in der Altstadt, an einem großen Platz, neben einer alten Burg aus dem 10. Jahrhundert.

Das Foto zeigt eine Häuserreihe in der Altstadt von Hondarribia. An jedes Haus sind Holzbalkone angebracht, die farbig angestrichen sind. Auch die Fenster- und Türrahmen sind angestrichen, z.B. in kräftigem Blau, dunklem Grün oder zartem Himmelblau. Bürgersteig und Straße sind aus Kopfsteinpflaster. In einem Haus ist ein Hotel untergebracht, vor einem anderen stehen Ständer mit Textilien.
Holzbalkone sind in Spanien weit verbreitet. Bunte Balkone hingegen sind ein besonderes baskisches Merkmal (Foto: C. Kreutzer)

Schnell das Gepäck abstellen und schon sind wir wieder zurück auf den holprigen Altstadtgassen. Selbst mit flachen Sohlen ist es etwas mühsam auf dem Kopfsteinpflaster zu gehen.

Rechts und links einer Gasse stehen viergeschossige Häuser mit schmiedeeisernen und Holzbalkonen. Die Häuser zeigen dunkle, vorkragende Holzdächer. Der Straßenbelag ist aus Kopfsteinpflaster. Auf den Bürgersteigen sind Fußgänger unterwegs.
Die vorkragenden, dunklen Holzdächer sind ebenfalls ein Kennzeichen baskischer Architektur (Foto: C. Kreutzer)

Es sind nicht viele Menschen unterwegs, was uns wundert, in Spanien ist um diese Uhrzeit immer was los.

Auf dem Bild ist die Burg aus dem 10. Jahrhundert von der Seite zu sehen. Vor der Burg sind zwei hellbeige-farbene Sonnenschirme zu sehen, unter denen Leute sitzen. Rechts der Burg wächst eine Palme.
Die Burg aus dem 10. Jahrhundert beherbergt einen Parador, luxuriöse Hotels, die zu einer staatlichen Hotelkette gehören. Einige Zimmer müssen immer zu erschwinglichen Preisen angeboten werden (Foto: C. Kreutzer)

Auf einem kleinen Platz werden wir schließlich fündig: Zwei, drei Bars schenken dort aus, die Tische sind voll besetzt.

Durch einen Torbogen hindurch sieht man den Rand einer Terrasse.
Blick auf die Rückseite des Paradors (Foto: C. Kreutzer)

Wir finden dennoch ein Plätzchen. Die Sangría, die in einem großen, kugeligen Glas serviert wird, schmeckt hervorragend, so ganz tückisch aber auch: zuerst fruchtig und später dann fängt der Kopf an zu kreisen. Nach ein paar Tapas kreisen wir; wir verlassen die Altstadt und gehen hinunter zum Fluss Bidasoa, der bei Hondarribia ins Kantabrische Meer mündet. Die Häuser am Fluss, der Fluss selbst und Frankreich auf dem gegenüberliegenden Ufer, alles ist in ein ungewöhnlich tiefes Blau getaucht, wie es nur die hereinbrechende Nacht hinbekommt.

Auf einer Kaimauer lehnen umgedrehte Kähne. Im Wasser liegen Sportboote. Auf der anderen Seite des Wassers sind in Häusern Fenster erleuchtet, das Licht spiegelt sich im Hafenbecken.
Abendstimmung über dem Sporthafen (Foto: C. Kreutzer)

Im Viertel Barrio de la Marina herrscht vor den Bars und Restaurants Gedränge, es nähert sich die spanische Abendessenszeit.

Am Kantabrischen Meer entlang
Im Vordergrund stehen viele Häuser zu Wohnblöcken zusammen. Dahinter sieht man hier und da das Wasser des Flusses Bidasoa. Über dem anderen Flussufer geht auf französischer Seite die Sonne auf.
Sonnenaufgang über Frankreich. Im Bildvordergrund ist das Viertel Barrio de la Marina zu sehen, das Ausgehviertel Hondarribias (Foto: C. Kreutzer)

Am nächsten Morgen brechen wir nach dem Frühstück – gerösteter Toast mit Olivenöl und Tomate – zu einer Wanderung ganz in der Nähe auf. Wir fahren ein kurzes Stück zur Küste und parken am Cabo de Higuer, einem Kap mit Leuchtturm. Gleichzeitig mit uns kommen Autos mit französischen Kennzeichen an, offensichtlich ebenfalls zum Wandern. Es ist eine Route zum Anfangen, nicht lang und mit nur wenigen Steigungen, aber um die wunderschöne, spanische Nordküste noch einmal zu erleben, reicht es. Sie führt uns zunächst immer die Küste entlang.

Auf der linken Seite fällt Küste schräg ins Meer hinab. Auf den Hängen wachsen Gräser und Heidekraut, weiter oben sogar Wald. Rechterhand liegt das Meer ruhig da, ohne Wellenbewegung. Ein kleines Schiff verlässt das Land. Im Hintergrund ist eine dunkler Streifen Landmasse zu erahnen.
Die spanische Atlantikküste (Foto: C. Kreutzer)
Zwischen Sträuchern verläuft ein schmaler Sandweg. Aus den Sträuchern auf der rechten Seite ragt eine etwas höhere Kiefer heraus. Geradeaus ist der Atlantik zu sehen.
Wer möchte da nicht einfach loslaufen? (Foto: C. Kreutzer)

In einer Bucht machen wir eine kleine Pause, und kehren anschließend durch Kiefernwald zurück zum Ausgangspunkt.

Shoppen und sonnenbaden

In Hondarribia schlendern wir noch einmal durch das lebhafte Viertel Barrio de la Marina und entdecken individuelle Boutiquen, die – stünde nicht die mittägliche Siesta an – zum Shoppen einladen. Ich schaffe es noch in eine Boutique und werde fündig. Da es heiß ist, setzen wir uns vor eine betriebsame, modern eingerichtete Bar, trinken etwas, beobachten die anderen Gäste und laufen anschließend am Ufer des Bidasoa entlang zum Stadtstrand, auf dem viele Badende und Sonnenanbeter ihre Handtücher und Sonnenschirme ausgebreitet haben.

Kastilische Enklave im Baskenland

Unser Quartier für die nächste Woche schlagen wir in La Puebla de Arganzón, einem kleinen Ort südlich der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz auf. Er liegt optimal, denn von den Wanderungen, die wir uns ausgesucht haben, ist er in etwa gleich weit entfernt. Der Ort gehört interessanterweise nicht zum Baskenland, sondern zu Kastilien-León; er ist aber rund herum vom Baskenland umgeben, eine echte Enklave also.

In der Mitte des Bildes steht ein Kirchturm in beige. Um ihn herum stehen Häuser in ähnlichen Farbtönen. Im Vordergrund stehen Bäume und ist Schilf zu sehen. Die Sonne strahlt die Häuser an.
La Puebla de Arganzón wurde Ende des 12. Jahrhunderts gegründet, zu einer Zeit als die Königreiche Navarra und Kastilien um Land kämpften (Foto: C. Kreutzer)

Unser kleines Hotel ist in einem typisch spanischen Haus aus groben Sandsteinen sowie Fenstern aus dunklem Holz untergebracht. Es liegt an einem schmalen Platz, ein Restaurant und eine Bar sorgen für die vertrauten spanischen Straßengeräusche: lautes Stimmengewirr und Kinderrufe bis mindestens Mitternacht. Ich liebe diese spanische Betriebsamkeit nachts, sie macht mir nichts aus, habe ich doch das Glück, innerhalb kurzer Zeit einzuschlafen. In einer Nacht fliegt ein prall gefülltes Portemonnaie durchs offene Fenster, ich höre es auf dem Fußboden aufklatschen, ein paar Leute, die schon eine Weile rumgegrölt haben, haben wohl etwas zu tief ins Glas geschaut und sind übermütig geworden. Am nächsten Morgen liegt ein Zettel vor unserer Türe, ich möge das Portemonnaie doch an der Rezeption abgeben …

Frühstück auf der Landstraße

Wir machen uns auf zu unserer ersten Wanderung in den baskischen Bergen und fahren über Landstraßen nach Urkiola, das auf einer Passhöhe liegt. Eine Bar wartet auf Gäste. Wir freuen uns und kehren zum Frühstücken ein. Die Bar sieht aus wie so viele in Spanien: eine lange Chromtheke, eher zweckmäßig als auf schönes Aussehen bedacht, an der Wand eine Liste mit Bocadillos, das sind große Baguettes mit allerlei Belägen, ein Charme wie aus den siebziger Jahren. Auch das liebe ich, für mich ist das ländliche Spanien ohne diese Bars nicht denkbar. Die Wanderung ist nicht anspruchsvoll, die Berge im Baskenland sind nicht so hoch wie im Kantabrischen Gebirge oder den Pyrenäen. Sie sind eine interessante Mischung aus Mittel- und Hochgebirge.

Ein Bild aus den Bergen von oben nach unten geguckt. Oben ist der Boden mit Gras bedeckt, es weiden Pferde darauf und unten wächst dunkler Fichtenwald. In der Ferne sind nackte Berge zu sehen.
Bei den Pferden muss es sich um Kaltblüter handeln. Warmblüter würden den heftigen Wind wahrscheinlich auf Dauer nicht vertragen (Foto: C. Kreutzer)

Wir durchqueren eine schmale Fichten-Anpflanzung und wandern eine Weide hoch, immer stur gerade hoch über Gras, ein Weg ist nicht zu sehen, vorbei hier und da an braunen Pferden, die so stabil sind, dass es sich um Kaltblüter handeln muss.

Im Vordergrund steht eine Steinhütte mit grasbewachsenem Dach und mit einem Kamin, der höher als die Hütte ist. Im Hintergrund erstrecken sich mittelhohe Hügelketten.
Aussicht beim Aufstieg (Foto: C. Kreutzer)

Mit zunehmender Höhe verstärkt sich der Wind. Oben angekommen, taucht jetzt doch noch mal ein nackter Fels auf und vermittelt vor unserer Nase etwas Hochgebirgsstimmung.

Alternativer Text: An einem Kiesweg steht ein Wegweiser aus Holz, an dem sechs Schilder in verschiedene Richtungen zeigen. Im Hintergrund erhebt sich ein Fels, der fleckenweise mit frischem Gras bewachsen ist.
Am höchsten Punkt der Wanderung angekommen (Foto: C. Kreutzer)

Zurück nach Urkiola wählen wir einen breiten, schlängelnden Waldweg. Der Wind vom Aufstieg kommt hier gar nicht hin. Der Wald besteht aus einer Nadelbaumart, die es in Mitteleuropa nicht gibt. Die Nadeln sind dunkel und steif.

Ein breiter Kiesweg schlängelt sich durch Wald. Rechts stehen hohe Kiefern und Adlerfarn, links Birken.
Der schönste Teil beginnt mit dem Rückweg. Die Stille ist wunderbar (Foto: C. Kreutzer)

Zwischen den hochwachsenden Stämmen breitet sich eine angenehme Ruhe aus, so wie sie nur ein Wald hervorzubringen weiß. Wir kommen noch einmal an ein paar satt-braunen Pferden vorbei, die auf dem Weg stehen und unbeirrt vor sich hingucken, so als wollten sie sagen „Geht einfach weiter und sprecht uns nicht an“. Wir gehen weiter, ohne sie anzusprechen und begegnen erst einmal keiner Menschenseele mehr. Die Ausblicke, die der Rückweg erst sporadisch, dann immer mehr bietet, sind fantastisch.

Der Blick fällt auf sanfte, bewaldete Hügel.
Aussicht auf dem Rückweg (Foto: C. Kreutzer)
Schon in der Bronzezeit besiedelt

Wir freuen uns auf die zweite Wanderung, diesmal ab Lalastre im Tal Valderejo. Wieder zockeln wir gemütlich über Landstraßen, wieder sind wir glücklich, dass die einzige Bar in dem winzigen Ort geöffnet ist. Unter einem Sonnenschirm vor der Bar lassen wir uns Milchkaffee und geröstetes Weißbrot mit Butter und Marmelade schmecken, bestellen Bocadillos mit gebackenem Ei für die Wanderung und marschieren los. Vierzehn Kilometer erwarten uns, also auch keine riesige Runde, aber schon nach den ersten paar Metern hinter dem Ort eröffnet sich ein vielversprechendes Panorama.

Häuser aus beigen Bruchsteinen stehen an einer Dorfstraße. Sie sind mit roten Ziegeln bedeckt.
Es gibt nur wenige Häuser in Lalastre. In einem von ihnen ist das Besucherzentrum untergebracht (Foto: C. Kreutzer)
Rechts verläuft eine zweispurige Kreisstraße. Links der Straße breiten sich Weiden aus und im Hintergrund ziehen sich bewaldete Hänge bis zu Steilhängen hoch.
Durch die Klamm des Río Purón zu laufen wäre sicherlich auch ein Erlebnis wert, wir entscheiden uns jedoch fürs Panorama (Foto: C. Kreutzer)

1992 wurde das Tal zum Naturpark ernannt und obendrein als „besonderes Schutzgebiet für Vögel“ ausgewiesen. Zur einen Seite bildet es eine weite Senke, an deren Rändern Steilfelsen aufragen, an denen es senkrecht bergab geht. Zur anderen Seite wird das Tal sehr schmal, der Río Purón bildet hier eine enge Schlucht.

Ein schmaler Trampelpfad verläuft am Rande einer vertrockneten Weide. Das Gras ist beige. Im Hintergrund säumen Steilfelsen das breite Tal. An den Hangrändern wächst Wald.
Im Baskenland wandert man überwiegend gemächlich (Foto: C. Kreutzer)
Von einer Hochfläche geht der Blick in die Umgebung, in der Hügelketten kreuz und quer verlaufen. Vor dem blauen Himmel ziehen Haufenwolken.
Geschütztes Brutgebiet für Geier (Foto: C. Kreutzer)

Wir haben uns für den nördlichen Teil entschieden, für das Panorama, und wandern auf einem erstaunlich gemächlich ansteigenden Pfad die Steilhänge hoch, bis wir eine Hochebene erreichen. Kurz bevor wir oben ankommen, weist eine halb-verwitterte Tafel auf eine prähistorische Malerei hin, die mit etwas gutem Willen auf der Felswand zu erkennen ist und vermutlich aus der Zeit zwischen Kupfer- und Bronzezeit stammt.

Lebensraum seltener Raubvögel

Für das letzte, kurze Stück setzen wir unsere Hände ein, um uns auf die Hochfläche hochzuziehen.

Vom Rand einer Hochfläche geht der Blick über eine bewaldete Senke hinüber.
Steilhang bestiegen (Foto: C. Kreutzer)

Zwischen dem kurzen Gras wachsen Tausende zart-rosafarbene Herbstzeitlose. Sie stehen gerade so weit auseinander, dass man noch in die Lücken treten kann, um sie nicht zu zertreten.

Auf einer Hochebene wächst zwischen kurzen Gräsern ein Teppich aus Herbstzeitlosen.
Ein Teppich aus Herbstzeitlosen. Sie begleiten uns fast bis zum Ende der Wanderung (Foto: C. Kreutzer)
Auf der gleichen Hochebene an anderer Stelle ist der Boden mit Kalksteinfragmenten übersäht.
An anderer Stelle tritt Kalkstein zu Tage (Foto: C. Kreutzer)

Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, auf einer Hochebene zu stehen, die Sicht in alle Himmelsrichtungen so frei, der Himmel scheinbar zum Greifen nah. Etwas weiter ist der Boden mit kleinen Kalksteinfragmenten übersät, ein ungewöhnliches und raues Bild. Das Muster, das die Kalksteine und die dunkelgrünen Pflanzen so großflächig ergeben, beruhigt irgendwie angenehm den Blick. Auf der Karstfläche taucht kurze Zeit später ein Menhir von einigen Metern Länge auf, der sich als dünner, fingerförmiger Stein in den Himmel bohrt.

Am Rande der Hochfläche steht ein Menhir aus einem schlanken Stein. Auf dem Boden um den Menhir herum liegen Kalksteinbrocken. Am blauen Himmel ziehen weiße Haufenwolken vorbei.
Neben der 360°-Aussicht ist der Menhir ein weiterer Höhepunkt der Wanderung (Foto: C. Kreutzer)
Von der Hochfläche, die leicht geneigt ist, geht der Blick über die Hügelketten der Umgebung
Blick zurück Richtung Lalastre (Foto: C. Kreutzer)
Der Fotograf steht auf der Hochebene inmitten von Ericagewächsen und fotografiert die Ebene, die deutlich flacher ist als von den anderen Standpunkten. Am tiefsten Punkt sind beigefarbene Felder zu sehen, umgeben von Wald. An einer Stelle befindet sich eine Siedlung.
Zur anderen Seite wird das Gelände schon flacher (Foto: C. Kreutzer)
Hellgraue Steine wurde zu einer Linie zusammengetragen, vielleicht war das früher eine Steinmauer. Die Linie führt senkrecht auf den Betrachter zu. Ganz hinten wächst ein knorriger Baum auf der Linie. Rechts und links liegen kleine Gesteinsbrocken zwischen kurzem Gras und Polsterpflanzen.
Steine, vor langer Zeit zu einer Linie oder vielleicht Mauer zusammengetragen (Foto: C. Kreutzer)

Ein Holzschild informiert darüber, dass die Hochebene von Anfang Januar bis Mitte August für Publikumsverkehr gesperrt ist, weil Geier in dieser Zeit hier nisten und ihre Jungen aufziehen. Das ist auch notwendig – informiert das Schild doch weiter, dass viele Tiere sonst ihre Nester vorzeitig verlassen. Im Valderejo leben laut der baskischen Tourismusorganisation außerdem noch Schmutzgeier, Steinadler, Wanderfalke und Mauersegler, um nur einige zu nennen. Wir sind geradeso außerhalb der Schonzeit hier und fragen uns, ob das Schild nicht unten hätte stehen müssen. Unterhalb der Hochebene wandern wir durch Heide- und Wacholdersträucher zurück.

Ein Weg aus Lehm und Steinen führt vom Betrachter aus in die Bildmitte. Beidseits des Weges wachsen knöchel- und kniehohe Sträucher und vereinzelte Wacholderpflanzen. Am Horizont verläuft eine blassblaue Hügelkette.
Und zuletzt noch ein Blick in die vierte Himmelsrichtung (Foto: C. Kreutzer)
Pintxo-Pote – nicht verpassen!

Uns verschlägt es ins Nachbardorf von La Puebla de Arganzón, nach Treviño. Hier gibt es donnerstags abends Pintxo-Pote. Pintxos, „Pinchos“ ausgesprochen, sind baskische Spezialitäten, kurz zusammengefasst: Eine Leckerei wird mit einem Zahnstocher auf eine Scheibe Baguette befestigt. Um mehr Menschen in ihre Lokale zu locken, haben 2003 Gastronomen aus Vitoria-Gasteiz ein Angebot geschaffen: Ein Pintxo und ein Getränk wurden für zwei Euro angeboten, selbst für spanische Verhältnisse ist das unschlagbar günstig, und genannt haben sie das Ganze Pintxo-Pote.

Mittlerweile ist die Idee auch auf andere Orte übergeschwappt und so reihen sich in Treviño auf dem Tresen der Bar Boa Tablett an Tablett, alle voll beladen mit Pintxos. Die Kellnerin hinter der Theke hat alle Hände voll zu tun, erläutert uns aber dennoch freundlich, wie Pintxo-Pote funktioniert. Die schiere Auswahl ist ein Fest für die Augen, das Wasser läuft im Mund zusammen. Da es unmöglich ist, alle Pintxos zu probieren, ist es eine Qual der Wahl, sich für eine Handvoll entscheiden zu müssen. Kurz bevor es um 20 Uhr losgeht, kommen immer mehr Menschen zur Bar, viele von außerhalb. Die Tische draußen auf dem Platz vor der Bar füllen sich und auch im Comedor, dem Speisesaal.

Gebirge und Meer auf einem Blick

Etwas Besonderes in Nordspanien ist die Tatsache, dass man vom Gebirge das Meer sieht und umgekehrt. Als wir uns zu einer weiteren Wanderung auf den Weg machen, rechnen wir gar nicht damit, auch dieses Mal dieses Glück zu haben. Um es zu verdeutlichen: In Deutschland liegen zwischen Meer und Bergen circa 1000 Kilometer.

Für heute haben wir uns den Naturpark Gorbeia vorgenommen. Er liegt nordwestlich von Vitoria-Gasteiz. Der höchste Punkt liegt auf knapp 1500 Metern Höhe. Es ist Samstag. In den Tälern, durch die wir fahren, um zu unserem Ausgangspunkt zu kommen, hängen die Wolken noch tief. Beim Aufstieg sind wir nahezu alleine unterwegs. Wir gewinnen an Höhe und erblicken einen Zipfel Nebel, der noch immer in den Tälern hängt. Je höher wir kommen, desto vollständiger breitet sich die Nebeldecke unter uns aus.

Eine geschlossene Wolkendecke liegt über dem Talboden.
Eine Frage der Perspektive: Scheint die Sonne oder ist es bewölkt? (Foto: C. Kreutzer)
Ein Pfad mit großen, unregelmäßigen Gesteinsbrocken führt senkrecht hoch zum Betrachter. Beidseits wachsen Erikapflanzen, Farne und kniehohe Büsche. In der Bildmitte sind Hügel zu sehen, über die stellenweise noch eine Wolkendecke hängt.
Aufstieg auf den Gorbeia (Foto: C. Kreutzer)
Vor dem Betrachter breitet sich ein Hang aus, der ganz mit Adlerfarn bedeckt ist. In der Bildmitte ist ein Bergrücken zu sehen, an dessen Oberfläche waagerechte Felsbänke zu Tage treten, auf dem nur stellenweise etwas Grün wächst. Die meisten Partien sind hellgrau. Hinter dem Bergrücken ist eine Ebene zu sehen, die größtenteils mit Wald bedeckt ist. Weiter hinten ragen wieder Felsen in die Höhe.
Einmal verschnaufen und die Aussicht genießen (Foto: C. Kreutzer)

Auf dem Weg zum Gipfel durchqueren wir eine Vegetationsgliederung wie im Bilderbuch: Unten Wald, dann eine Zone aus niedrigen Sträuchern und Farnen und schließlich eine strauchlose Weide, auf der um das Gipfelkreuz herum Pferde und Kühe grasen. Als wir die Weide erreichen, tauchen wie aus dem Nichts doch so einige Wanderer auf, die alle Richtung Gipfel streben.

Auf dem höchsten Punkt des Gorbeia steht ein Turm aus Stahl, zu dessen Füßen Touristen eine Pause machen, zwischen ihnen stehen Pferde. Ihrem gedrungenen Körper nach zu urteilen, handelt es sich wahrscheinlich um Kaltblüter.
Oben angekommen. Auf der Spitze des knapp 1500 Meter hohen Bergs Gorbeia bietet sich eine gute Aussicht auf die Umgebung (Foto: C. Kreutzer)
Auf dem höchsten Punkt des Gorbeia liegen Kühe auf der Weide.
Gebirge mit Kühen wie aus dem Bilderbuch (Foto: C. Kreutzer)
Im Bildvordergrund sind zwei felsige Höhenzüge zu sehen mit einem grünen Talboden dazwischen. Dahinter ist eine Siedlung zu erkennen und ganz am Horizont Steilküste und sogar sich brechende Wellen
Unser Platz für die Mittagspause. Auf einmal entdecken wir ganz im Hintergrund Steilküste und sich brechende Wellen (Foto: C. Kreutzer)

Während wir picknicken, entdecke ich in der Ferne ein Stück Steilküste, bin mir aber nicht ganz sicher, ob ich richtig liege. Da türmen sich wie zum Beweis zwei Wellenkämme auf, die sich in breiten Schaumkronen brechen.

Beim Abstieg begleitet uns Heidekraut, das teilweise noch hellrosa blüht. Es kontrastiert mit den bläulichen Hügelketten in der Ferne. Hinter den Hügelketten beginnt gar nicht weit entfernt Asturien, die Region, in die es mich immer wieder hinzieht, die ich meine zweite Heimat nenne. Durch die Reise ins Landesinnere des Baskenlands habe ich auf vielen Wanderungen ganz unterschiedliche Landschaften kennen gelernt. Vor allem die Vegetation unterscheidet sich in den Naturparks und reicht von den vertrauten Buchen und Birken über diese unbekannte Nadelbaumart, die in dem schönen Wald bei Urkiola wächst, bis hin zu Steineichen, die einen deutlichen Hinweis geben, dass das Mittelmeer schon Einfluss auf die Vegetation nimmt. Ich freue mich – ein weiterer, weißer Fleck weniger auf meiner Reiselandkarte! Auf einem breiten, holprigen Weg gehen wir zurück zum Auto. Die Sonne wird auf dem hellen, fast weißen, gipsartigen Bodenbelag so stark reflektiert, dass er blendet. Es ist noch früh, genügend Zeit, um nach Vitoria-Gasteiz zu fahren und durch die Einkaufsstraßen zu bummeln. Etwas Trubel darf jetzt sein.

Zwei Erikapflanzen stehen in voller Blüte. Die Erikapflanzen drumherum sind bereits verblüht. Dazwischen wachsen niedrige Kiefern. Bis zum Horizont sind mehrere Hügelketten zu sehen.
Beim Abstieg ändern sich die Perspektiven auf Schritt und Tritt. Schnell runterrauschen? Unmöglich! (Foto: C. Kreutzer)

Wer mehr lesen möchte …
Victoria-Gasteiz ist die Hauptstadt des Baskenlands. Sie ist ein positives Beispiel dafür, wie eine Stadt sich ökologisch erneuert: In den 1990er Jahren war die Luft in der Stadt sehr schlecht, zusätzlich vernichtete eine intensive Bebauung an den Stadträndern immer mehr den Lebensraum von Pflanzen und Tieren. Interessanterweise gelang es der Stadtgesellschaft und dem Rat auf die Notbremse zu treten. Sie beschlossen, etwas gegen Luftverschmutzung und Flächenfraß (und einige Dinge mehr) zu unternehmen. In der Folge setzten die Stadtplaner Maßnahmen zum Schutz der Parks auf, die ringsum in Stadtrandnähe liegen und sich in einem schlechten ökologischen Zustand befanden. Außerdem vernetzen sie die Parks untereinander, so dass am Stadtrand ein Grüngürtel entstand, der sogenannte „Anillo Verde“. Auch widmeten sie Straßen um, d.h. sie reduzierten die Spuren für Autoverkehr und richteten auf ihnen stattdessen breite Radwege ein. Auch sonst handelt die Stadt ökologisch: So können Anwohner z.B. für eine bestimmte Zeit ein Stück Schrebergarten pachten und bestellen, nachdem sie an einem Kurs für ökologisches Gärtnern teilgenommen haben. Ich habe mit einem Hobbygärtner gesprochen, nach ökologischen Richtlinien zu gärtnern, war für ihn selbstverständlich. 2012 wurde Vitoria-Gasteiz mit dem Titel „Grüne Hauptstadt Europas“ geehrt, eine Auszeichnung, die die Europäische Kommission 2010 ins Leben gerufen hat. Es lohnt sich, die Stadt auf dem Rad zu erkunden.

Ein Blick über den Tellerrand
Vitoria-Gasteiz beeindruckt auch durch das Centro Memorial de las Víctimas del Terrorismo – dem Zentrum zur Erinnerung an die Opfer des Terrorismus, speziell der ETA, der baskischen Untergrundorganisation, die mit blutigen Mitteln für die Unabhängigkeit des Baskenlandes von Spanien kämpfte. Die ETA hat sich mittlerweile aufgelöst, den Terror gegen baskische Kommunalpolitiker und Unternehmer hat sie aufgegeben. Das Zentrum ist in einem neoklassizistischen Gebäude mitten in der Stadt untergebracht, Innen ist es modern gestaltet. In einem Raum werden auf drei Wänden großflächige Filme projiziert, in denen Überlebende und Angehörige von Opfern der baskischen Terrororganisation ETA zu Wort kommen. In einem anderen Raum sind großformatige Fotos ausgestellt, die Szenen von Attentaten der ETA, aber auch der IRA in Nordirland zeigen. Die Fotos sind mit Kommentaren der Fotografen versehen. Das Museum wurde 2021 eingeweiht. Ein Zentrum über den baskischen Terror hätte ich nicht erwartet, schon mal gar nicht an so prominenter Stelle wie der baskischen Hauptstadt. Damit es unbehelligt seinen Zweck erfüllen kann, benötigt es auch die Toleranz oder zumindest die Duldung der (einstigen) ETA-Befürworter. Das ist offensichtlich der Fall. Es zeigt, dass die baskische Gesellschaft an der Versöhnung arbeitet. Respekt.


Transparenzhinweis: Ich finanziere meine Reisen selbst. Für Empfehlungen erwarte und erhalte ich keine Gegenleistung. Ausnahme kennzeichne ich.


Tipps & Links
Infomaterial

NO 1: Die Offizielle Website des Baskenlandes zieht leider nicht alle Register wie vergleichbare, andere Seiten. Wer dennoch einen Blick hineinwerfen möchte, sollte nicht lange danach suchen müssen.

NO 2: Das Gleiche gilt für die Website des Valderejo.

NO 3: Interessante Informationen hält die Website von Vitoria-Gasteiz bereit.

Aktiv unterwegs
NO 4: Für Wanderungen empfehle ich den Rother Wanderführer Baskenland Die nächste Buchhandlung freut sich über einen Besuch.

NO 5: Der Eintritt in das Centro Memorial de las Víctimas del Terrorismo in Vitoria-Gasteiz ist kostenfrei.

NO 6: Wer Vitoria-Gasteiz mit dem Rad erkunden möchte, findet mehrere Radverleihe. Einen ganzen Tag sollte man schon für die Fahrt auf zwei Rädern einplanen.

NO 7: Mehrere Routenvorschläge mit dem Auto durch das Baskenland gibt es auf der Website der baskischen Touristeninformation. Die Seite gibt es auch auf Deutsch. Leider funktionieren viele Links unter der Rubrik „Praktische Informationen“ nicht mehr.

Essen & trinken
NO 8: Zum Pintxo Pote (donnerstags) in die Bar Roa im kleinen Ort Treviño, zehn Kilometer von La Puebla de Arganzón entfernt. Sie befindet sich zwischen der Calle Casal und der Calle Mayor.

Sonstiges
NO 9: In dem lesenswerten Buch Patria beschreibt der Autor Fernando Aramburu, wie der Konflikt um die Unabhängigkeit des Baskenlands einen Ort entzweit.


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