Ein Mix aus Weinbergen, Bergsilhouetten und der Weite des Rheingrabens schaffen zudem abwechslungsreiche Aussichten
Es verspricht ein Sommertag mit angenehmen Temperaturen zu werden, als wir uns im hessischen Nauheim aufmachen, um einen unbeschwerten Tag an der Bergstraße zu verbringen. Schon die Fahrt an blütenreichen, bunten Ackerrandstreifen vorbei versetzt in Sommerstimmung.
Etwas Vergangenheit ist auch dabei
Heute wandern wir durch die Weinberge um Bensheim. Wir starten in Auerbach, einem Ortsteil von Bensheim. Gleich nach den ersten Schritten wird unsere Disziplin auf eine harte Probe gestellt: Wir kommen an zwei Lokalen vorbei, ihre Tische draußen und ihre Speisekarten laden geradezu ein, uns hinzusetzen. Jetzt die frische Morgenluft genießen und ein zweites Frühstück einverleiben – sehr verlockend! Doch die Neugierde auf die Landschaft wiegt schwerer. Beschwingt von dem Gefühl, den ganzen Sommer, die helle Jahreszeit noch vor uns zu haben, gehen wir weiter.
Ich führe bei der Wanderung nicht Regie, sondern kann mich treiben und überraschen lassen. Wenige Meter später taucht auch schon die erste Überraschung auf: Weiße Gebäude aus einer anderen Zeit, nicht nur ihre hellgrauen Fensterläden lassen sie vornehm wirken. Wir sind im Begriff, den „Staatspark Fürstenlager“ zu betreten.
Die Bergstraße erstreckt sich als schmales Band von Darmstadt bis Heidelberg und zwischen dem Odenwald und Rheingraben. Über 30 Burgen und Schlösser reihen sich die Bergstraße entlang. Im Wandergebiet, um das es in dieser Reportage geht, liegt zum Beispiel Schloss Auerbach (siehe Tipps & Links). Bensheim liegt im nördlichen Teil.
Das Gebäudeensemble und der weitläufige Park stammen aus dem späten 18. Jahrhundert und wurden von Angehörigen des Hauses Hessen-Darmstadt als Sommerresidenz genutzt. Wir wandern den Hang hinauf, auf dem etliche Baumriesen wachsen, so wie sich das für einen fürstlichen Park gehört, vorbei am wohl prächtigsten Bauwerk, dem sogenannten Freundschaftstempel, einer runden, offenen Halle mit hohen Säulen. Eine Sichtachse verbindet den Freundschaftstempel mit einem Gebäude unten im Tal.
Wein und Wald
Sobald wir dem Park den Rücken kehren, öffnet sich vor uns die Bergstraße. Reihen von Weinreben ziehen sich den Hang herunter, dahinter dichter Wald, so scheint es zumindest von hier oben, der sich bis zu einer Hügelkette am Horizont zieht. Passenderweise hat jemand an der Stelle einen Aussichtspunkt eingerichtet. Ein Mann mit seinem Hund und einem Laptop auf dem Schoß hat sich dort auf einer Bank niedergelassen.
Am Horizont sind kleine, aber irgendwie doch markante Bergspitzen zu sehen, so als hätte jemand mit spitzer Mine und zittriger Hand eine feine Linie gezeichnet. Wir stehen oberhalb des Schönberger Herrnwingerts, in dem die Winzer Riesling und Weißer Burgunder anbauen. Bis 1923 gehörte die Lage dem Grafen von Erbach-Schönberg, dann wechselte sie in den Besitz der Hessischen Staatsweingüter.
Die Weinstöcke lassen wir zügig hinter uns und wandern in den Wald hinein, in dem überwiegend Laubbäume wachsen. Die Sonne scheint bis auf den Waldboden. Wir haben aufgehört, nach der Karte zu laufen und folgen stattdessen den Wegweisern und entscheiden spontan, welche Richtung wir einschlagen. Fast wechseln wir vom Wander- in den Schlenderschritt.
„Halb versteckt, verborgen und gemütlich gelegen“
Nachdem wir den lichten Wald verlassen haben, wird es auf Schritt und Tritt lauschig: Direkt am Waldrand hat jemand auf einer kleinen Parzelle ein paar Weinreben für den Hausgebrauch angepflanzt und am Ende des Grundstücks einen Bauwagen hingestellt, zu dem ein weicher Wiesenweg führt. Man hat den Eindruck, als dürfte hier alles wachsen, von unten und von oben, von den Seiten, ganz entspannt und unaufgeregt.
Der Duden schreibt dem Begriff „lauschig“ die Bedeutung „traulich und halb versteckt, verborgen und gemütlich gelegen“ zu. Nun, „traulich“ sagt mir nicht mehr allzu viel, aber „halb versteckt, verborgen und gemütlich gelegen“ trifft das, was uns auf der verbleibenden Wegstrecke bis Bensheim begegnet, ziemlich genau.
Wir haben wieder einen Weinberg erreicht. Der Weg schlängelt sich nun und verengt sich bald zum Trampelpfad, ein abgestorbener Baum durfte stehen bleiben und weist auch prompt eine Höhle auf, ein Nistplatz für Baumbrüter; ein paar Weinrebenreihen wechseln sich mit kleinen Wiesenstücken ab und zwischendurch bleibt immer wieder Platz für Feldgehölze.
Auf einer kleinen Wiese stehen ein paar Bänke, die seit einiger Zeit verfallen und von Gras überwuchert werden. Für Kinder gibt es hier reichlich Möglichkeiten Versteck zu spielen. Eine leicht geöffnete Holztüre verlockt, zumindest einmal einen kurzen Blick auf das zu werfen, was dahinter wartet.
Bummel durch Bensheim
Langsam drehen wir uns dem Rheingraben zu, denn die ersten Häuser von Bensheim tauchen auf. Als wir den Stadtrand von Bensheim erreichen, schiebt sich die wuchtige Fassade mit den Doppeltürmen der Kirche Sankt Georg ins Blickfeld. Wuchtig, aber nicht erschlagend. Sie macht neugierig, mehr von Bensheim kennen zu lernen. Auch geht es auf Mittag zu, Zeit für eine Pause.
In Bensheim laufen wir mitten in das „Bensheimer Marktfrühstück“ hinein, das Erste dieses Jahr. Auf dem Platz vor Sankt Georg stehen einige Marktstände, außerdem Tische und Bänke, die gut besetzt sind. Die Sonne hat die Luft mittlerweile auf angenehme Temperaturen erwärmt. Es scheint, als träfen sich hier befreundete Paare zum ausgedehnten Plausch. Kleine Betriebe bieten auf dem Marktfrühstück ihre Produkte an. Wir setzen uns auf eine Bank und trinken Quitten- und Apfelschorle, unschlagbar preiswert, drei Euro beide zusammen, ich bitte, die Bedienung, den Preis zu wiederholen, weil ich meine, mich verhört zu haben, und kommen mit einer anderen Marktbesucherin ins Gespräch. Später lese ich, dass das Marktfrühstück zwischen Juni und Oktober jeden Samstag als Teil des Wochenmarkts stattfindet. Es geht auf den Landeswettbewerb mit dem originellen Namen „Ab in die Mitte – Die Innenstadtoffensive Hessen“ zurück.
Bensheim zählt mit 40.000 Einwohnerinnen und Einwohnern zu den Mittelstädten. Im Stadtzentrum gibt es viele Läden und ein kleines Privatkaufhaus, so dass wir den Rest der Zeit mit Bummeln verbringen. Fachwerkhäuser vermitteln einen heimeligen Eindruck.
Aussicht auf den Rheingraben
Auf dem Rückweg steuern wir das Kirchberghäuschen an, von dem es heißt, dass es eine schöne Aussicht auf den Rheingraben bietet. Wir sehen uns im Biergarten um und gucken auf die weite Landschaft des Rheingrabens vor uns. Auch wenn irgendwo das Atomkraftwerk Biblis liegt – wir erkennen im Dunst gerade so seine Umrisse -, der weite Blick ist ein schöner Kontrast zu der Silhouette der Bergstraße. Auch hier im Biergarten haben wir den Eindruck: Hinsetzen wäre schön, aber zu Hause erwartet uns ein Erdbeerkuchen.
Auf dem Rückweg kommen wir an einer Gruppe Erwachsener vorbei. Jeder hat um den Hals ein Glas an einer Schnur hängen: Sie verkosten Wein, die Stimmung ist entsprechend heiter. Wenig später passieren wir eine Schafherde. Sie und ein paar Ziegen fressen um die Wette. Eine Art Klopfen liegt in der Luft, ein amüsantes Geräusch, das wir noch nie gehört haben und das entsteht, wenn viele Schafe auf einmal Gras abrupfen. Wir beobachten die Tiere und haben Spaß dabei. Zwei Ziegen sind auf einen Gesteinsbrocken geklettert, um an die Blätter der Bäume zu gelangen, währenddessen die Schafe um den Stein herum stehen bleiben und vom Boden fressen. Inmitten der Schafe steht ein Schaf, das vor sich hinstarrt und als einziges nicht frisst. Wir beobachten es fasziniert, natürlich erregt es unser Mitleid, und wir wüssten zu gerne, was es wohl hat.
Zurück am Auto führen uns die Lokale von heute Morgen erneut in Versuchung. Für heute müssen wir ein drittes Mal standhaft sein: Zu Hause lockt der Erdbeerkuchen.
Wer mehr lesen möchte …
Einblick in die karolingische Zeit bietet das Kloster Lorsch, nur fünf Kilometer von Bensheim entfernt. Es wurde 764 als Reichsabtei Karls des Großen gegründet und 1991 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt (siehe Tipps & Links).
Wenig entfernt liegt das Freilichtlabor Lauresham, ein Modell eines Herrenhofes aus der Zeit Kaiser Karls. Es zeigt wie sich das Leben zu jener Zeit abgespielt hat (siehe Tipps & Links).
An der Bergstraße wächst die seltene Rebsorte Roter Riesling. Vom weißen Riesling ist sie bis auf die Farbe der Trauben nicht zu unterscheiden (siehe Tipps & Links).
Ein Blick über den Tellerrand
Totholz sorgt dafür, dass es im Wald lebendig zugeht. Es ist sozusagen der Kitt im Wald. Viele Arten sind auf Totholz angewiesen, allen voran Insekten und Pilze, aber auch Moose, Flechten, Wirbeltiere und Vögel. Nur ein Klick auf die Seite des BUND Bayern ist nötig, um sich über die vielen Facetten von Totholz zu informieren. Die Seite eignet sich gut für den Einstieg in das Thema. Die Website Waldwissen.net stellt gleich mehrere Artikel zur Verfügung, für Leute, die das Thema vertiefen möchten.
Transparenzhinweis: Ich finanziere meine Reisen selbst. Für Empfehlungen erwarte und erhalte ich keine Gegenleistung. Ausnahmen kennzeichne ich.
Tipps & Links
Infomaterial
NO 1: Es gibt zwei Websites über die Bergstraße mit offiziellem Charakter. Eine ist zu erreichen unter www.diebergstrasse.de
Sie bietet einen gut sortierten Überblick über die Städte der Bergstraße.
Für Burgen, Schlösser und dem Kloster Lorsch hält sie ebenfalls eine gute Übersichtsseite parat. Hierunter gibt es auch Informationen über Schloss Auerbach. Informationen über das Freilichtlabor Lauresham stehen unter dem Kloster Lorsch.
NO 2: Die zweite Website ist zu erreichen unter www.bergstrasse-odenwald.de/reiseziele/regionen/die-bergstrasse
Handliche Prospekte geben eine gute Übersicht über Wander- und Ausflugsmöglichkeiten. Die Lieferung geschieht prompt, natürlich versandkostenfrei. Jede Wanderung ist auf einer Doppelseite untergebracht, die es informationsmäßig in sich hat: Auf topografischen Kartenausschnitten sind die Routen eingezeichnet, die Routenbeschreibung fehlt ebenso wenig wie das Höhenprofil und Einkehrtipps.
Aktiv unterwegs
NO 3: Geführte Wanderungen werden auf dem Erlebnispfad Wein und Stein geboten. Es werden so interessante Fragen wie „wie entsteht Weinstein“, „wie entsteht eine neue Rebsorte“ und „warum kommt Vulkanasche in den Wein“ erörtert. Der Pfad ist durch die Kooperation zwischen dem UNESCO-Geopark Bergstrasse-Odenwald und der Bergsträßer Winzer eG entstanden.
NO 4: Das Programm von Winzerin Christa Guth in Bensheim kann sich sehenlassen: Es bietet Weinproben, Weinproben mit Seminar und Verkostungen des seltenen Roten Rieslings sowie Wanderungen durch die Weinlagen.
NO 5: Aktionen mit Namen wie „Bergsträßer Tapas und Wein“ und „Käsefondü, Bergsträßer Wein und Verdauerli“ hat Wine-e-motions von Brigitte Zimmermann im Repertoire. Außerdem bietet sie Weinwanderungen an. Strecke und Dauer richtet sie nach individuellen Wünschen aus.
Essen & trinken
NO 6: Das Lokal Alte Dorfmühle im Ortsteil Auerbach ist in einer Mühle aus dem Jahr 1475 untergebracht. Die Betreiber backen das Brot selbst, außen gibt es Sitzplätze.
NO 7: Das Café Luise liegt ein Steinwurf vom Fürstenlager entfernt. Draußen gibt es nette Sitzgelegenheiten.
NO 8: Das Kirchberghäuschen bietet einen schönen Biergarten unter Bäumen und einen weiten Blick über den Rheingraben. Es ist nur zu Fuß erreichbar (vom Fürstenlager etwa in 45 Minuten).
Und nun zu Euch, liebe Leserinnen und Leser:
Wer kennt noch andere Orte an der Bergstraße? Was gibt es dort Interessantes?
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Das macht Lust auf eine Wochenendtour!
Sehr schön, Maria. Ich bin auch nicht zum letzten Mal da gewesen!