Die spanische Stadt Zamora überrascht mit einer artenreichen Natur. Auf ihrer reichen romanischen Kultur ruht sie sich nicht aus. Vermehrt rückt sie die Flusslandschaft des Duero in den Vordergrund
„Vor 30 Jahren gab es in Zamora sechs Storchenpaare, heute sind es an die 60“, berichtet Alfredo. Die Stadt mit gut 60.000 Einwohnern liegt in der Nähe zu Portugal. Alfredo wurde in Zamora geboren, als Jüngster von neun Geschwistern. Seine Heimatstadt hat er nie verlassen, auch zum Studium nicht. Heute arbeitet er als Freiberufler. Er leitet ornithologische Exkursionen und erstellte für das städtische Tourismusbüro Broschüren über die Vogelwelt und Schmetterlingsfauna.
Ich schlendere mit ihm früh morgens zur Kathedrale, über uns zeigt sich der Himmel strahlendblau. Wohin ich mich auch drehe, ich blicke auf hellen, freundlichen Sandstein: das Museum Baltasar Lobo, das Werke des zeitgenössischen Bildhauers ausstellt, der Palast Casa del Cid und die Kathedrale. Alfredo erzählt weiter: „Junge Storchennester wiegen um die 30 Kilogramm und solche, die schon mehrere Jahrzehnte alt sind, wiegen bis zu 600 Kilogramm.“ Er hat sein Spektiv geschultert und wir setzen unseren Rundgang fort, bergab in Richtung Duero.
Der drittgrößte Fluss der iberischen Halbinsel durchfließt die Stadt auf einer Strecke von sechs Kilometern. An seinen Ufern und auf den Inseln finden Säugetiere, Amphibien, Reptilien, Fische und Libellen in Auwaldresten und Schilf-Röhrichten Platz; unter ihnen auch gefährdete Arten wie die Spanische Wasserschildkröte oder der Otter. Außerdem leben in Zamora 220 Vogel- und an die 70 Tagfalterarten, darunter Rot- und Schwarzmilane. Mittlerweile sind wir am Fluss angekommen. Auf einer Insel sitzen im Geäst hoher Pappeln zahlreiche Kormorane und breiten ihre Flügel aus. Anders als Enten ist ihr Gefieder nicht wasserdicht und so müssen sie nach den Tauchgängen erst einmal trocknen. In der Luft und auf den Bäumen herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Alfredo erläutert, dass Schildkröten und Fische, die von irgendwo anders eingeschleppt und zum Angeln ausgesetzt wurden, die einheimische Fauna teilweise verdrängen.
Auf einer Brücke richtet er das Spektiv ein. Ich blicke hindurch und sehe einen Graureiher, der sich, solange ich ihn beobachte, nicht bewegt. An seinem Hinterkopf sind lange, schwarze Federn zu erkennen. Sie flattern leicht im Wind. Ich kann mich nicht sattsehen. So geht es auch Kindern, erzählt er. Viele kommen wenig oder gar nicht mit Natur in Kontakt. Sein Fazit:
„Der ungewohnte Blick durch ein Fernrohr öffnet Augen und Geist“,
José Alfredo Hernández
Wer die Tierwelt am Duero beobachten oder einfach nur die Natur, die Stadtansicht und die ungewöhnlich schönen Brücken, die den Fluss überspannen, genießen möchte, macht sich am besten zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf. Unterwegs informieren neu aufgestellte Tafeln über Natur und Kultur am Fluss.
Auf Naturbeobachtung setzt seit 2015 der Stadtrat für Tourismus und Handel, Christoph Strieder. Er erzählt von der Geschichte Zamoras. Die Stadt liegt in einer fruchtbaren Gegend, in der schon früh Wein und Weizen angebaut wurden; außerdem verdienten die Menschen mit Viehzucht ihr Geld. Im Mittelalter war sie ein wichtiger Markt und so kam es, dass sie im 11. und 12. Jahrhundert stark wuchs. „Jedes Stadtviertel bekam eine eigene Kirche; das war dann eine romanische Kirche“, erläutert Christoph. Mehr als zwanzig dieser Kirchen sind bis heute erhalten.
Nun, was ihn besonders interessiert, sind die Natur, der Fluss, der Vogelreichtum. Er möchte, dass all das stärker neben die Romanik gestellt wird. „Wir haben keinen Strand, keinen Flughafen, ja, wir haben noch nicht einmal einen großen Flughafen in der Nähe – insofern ist es für uns nicht schwierig, einen ökologisch verträglicheren und attraktiven Tourismus zu etablieren“, so der Stadtrat. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die Besucher danach fragen, dass sie nach lokalen Produkten verlangen. So ist er dabei, nachhaltige Angebote zu schaffen. Die Broschüren und Informationstafeln über die Natur gehören dazu. 2018 konnte erstmalig eine seilbetriebene Fähre zu Wasser gelassen werden, die von Touristen, aber auch von Einheimischen gut angenommen wird. 2019 kamen dann Ruderboote hinzu, die während des Sommers in Betrieb sind. Fähre und Ruderboote legen ganz in der Nähe der Aceñas de Olivares an, einer Mühlengruppe aus dem 10. Jahrhundert. In Zamora und etwas außerhalb gibt es insgesamt fünf solcher Gruppen. Als Wassermühlen konstruiert, wurde in ihnen vor allem Mehl gemahlen, teilweise waren sie noch in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Betrieb. Einige wurden in den letzten Jahren restauriert und sind für Publikum geöffnet. Die Aceñas de Olivares beherbergen heute ein kleines Museum für traditionelle Wasserkrafttechnik. Etwas flussaufwärts auf der anderen Seite befindet sich in dem Mühlenkomplex Aceñas de Pinilla ein Restaurant. Nach einer großen Runde zu Fuß am Ufer entlang bietet es eine gute Gelegenheit, bei einem Kaffee eine Pause einzulegen. Eine kleine Auswahl an kreativen, farbenfrohen Tapas verführt zum längeren Bleiben.
Zamora liegt wie Salamanca und Ávila in der Autonomen Region Kastilien und León. Während die beiden letzteren Städte Besucherströme anziehen und auf keiner organisierten Rundreise fehlen, nehmen sich die Besucherzahlen in Zamora dagegen bescheiden aus. Dennoch verzeichnete die Stadt zwischen 2015 und 2018 einen Anstieg um knapp 20.000 auf rund 72.000 registrierte Besucher.
Vom Fluss nun zurück ein Sprung in die Altstadt. Ich habe mich von Alfredo verabschiedet. Während zwischen Bahnhof und Zentrum in einer Fußgängerzone viele Ladenlokale leer stehen, ist in der Altstadt nichts davon zu merken. Einige Läden verkaufen regionale Produkte; in einer kleinen Bäckerei gibt es Anisplätzchen zu kaufen. Selbst am frühen Nachmittag sind sie so frisch, dass die Tüten noch warm sind. Zunächst braucht es eine Zeit, um sich zu orientieren: Es gibt so viele Kirchen in der Nähe, kleine Straßen, durch die man schlendern möchte und Museen, die mit interessanten Ausstellungen aufwarten. Da ist es vielleicht nicht verkehrt, als erstes zum Aussichtspunkt Mirador del Troncoso zu gehen. Von hier aus fällt der Blick linker Hand auf die romanische Brücke Puente de Piedra. Ihre Erbauer haben mit Bögen nicht gespart. Sie ist die älteste erhaltene Brücke und Fußgängern und Radfahrern vorbehalten. Die Entscheidung, erst einmal zum Aussichtspunkt zu gehen und runterzukommen, war richtig. Jetzt ist es Zeit, den Bummel fortzusetzen. Bald ist die erste Kirche, San Isidoro del Carmen, erreicht. Die hohen Mauern des einschiffigen Baus sind weitgehend glatt und schnörkellos, das macht ja den Reiz romanischer Kirchen aus. Auf der Seite des Portals sind kurz unterhalb des Dachs drei schmale Fenster eingelassen.
Nur wenige hundert Meter entfernt liegt die Kathedrale. Sie nimmt den höchstgelegenen Punkt der Stadt ein. Auch sie ist in ihrem Ursprung romanisch. Ihren Umriss erfasst man nicht auf Anhieb, eine Gliederung in Haupt- und Seitenschiffe ist von außen nicht einfach zu erkennen. Vor allem das Kuppelgewölbe zieht den Blick auf sich. Dachziegel, die aussehen wie Schuppen, und kleine Türme an den Ecken vermitteln einen byzantinischen Eindruck. Von innen lohnt sich ein Blick in die Kuppel besonders, wenn helles Tageslicht durch die vielen Fenster fällt. Die Rippen sind abwechselnd weiß-goldfarben gestreift, die Flächen dazwischen leuchten weiß auf. Auch der fünfundvierzig Meter hohe Turm der Kathedrale aus dem dreizehnten Jahrhundert weiß die Blicke auf sich zu ziehen. Für die Stadtsilhouette ist er unverzichtbar.
Doch es gibt nicht nur viele alte, gut erhaltene Gebäude zu besichtigen. Die Stadtplaner und Architekten haben es verstanden, die architektonische Moderne behutsam in die Straßen der Altstadt einzufügen. Davon zeugen Museen, wie das Ethnografische Museum oder das Stadtmuseum, das zwar in einem alten Gebäude untergebracht ist, aber moderne Erweiterungen erfahren hat. Oder das Gebäude der Verwaltung von Kastilien und León, schräg gegenüber der Kathedrale. Gebäude und Innenhof stehen Besuchern offen; im Erdgeschoss ist eine Ausstellung untergebracht. Ich habe vieles von Zamora gesehen, aber längst nicht alles. Als wir uns verabschiedeten, erwähnte Alfredo, dass man im Sommer im Duero baden kann. Mir dämmert, dass ich wiederkommen werde.
























Transparenzhinweis: Ich finanziere meine Reisen selbst. Für Empfehlungen erwarte und erhalte ich keine Gegenleistung. Ausnahmen kennzeichne ich.
Tipps & Links
Infomaterial
NO 1: Offizielle Website der Touristeninformation, auf Französich, Englisch und Niederländisch. Darunter informative Broschüren, teilweise mit Stadtrundgängen.
NO 2: Die Touristeninformation befindet an der Ecke Calle Obispo Manso/Plaza de Arias Gonzalo.
Aktiv unterwegs
NO 3: Es gibt verschiedene thematische Stadtführungen z.B. durch das romanische oder mittelalterliche Zamora oder Nachttouren.
NO 4: Wer alleine losziehen möchte, kann auf verschiedene Broschüren mit Rundgängen zurückgreifen (auf Spanisch).
NO 5: Zamora Biodiversidad heißt der Blog von Alfredo, auf dem er unermüdlich über die Flora und vor allem die Fauna in Zamora postet (auf Spanisch).
NO 6: Wer die Umgebung mit dem Rad erkunden möchte, findet hier insgesamt neun Routen zwischen 16 und 37 Kilometern Länge (auf Englisch).
NO 7: Weitere Radtouren unter Wikiloc, einem spanischen Portal für Radtouren. Wer sich durch die vielen Fotos klickt, bekommt einen ersten Eindruck von der Umgebung.
Übernachten
NO 8: Beim Einchecken am Empfang des Hotel Hostería Real Zamora*** würde es nicht verwundern, wenn ein Ritter um die Ecke käme.
NO 9: Eine Übernachtung in den altehrwürdigen Gemäuern des Parador**** in Zamora ist sicherlich ein Erlebnis – Terrasse mit Blick auf die Umgebung inklusive. Zu einem Tee oder Kaffee eine Pause einlegen, ist immer möglich.
ÖPNV
NO 10: Anderthalb Stunde dauert die Anreise mit dem Hochgeschwindigkeitszug von Madrid-Chamartin, mehrmals täglich.
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Sehr schöner Reisebericht!
Die Bilder sind sehr schön und mir gefiel besonders die Aufnahme der Storche 🙂
Ich bin schon gespannt auf die anderen Berichte.
Das freut mich, Patricia. Die vielen Störche in Zamora sind faszinierend, man sieht sie überall auf den Dächern. Wenn du den RSS-Feed abonnierst, wirst du automatisch über neue Beiträge informiert.