Individuelles Reisen

Wandern durch Stille und Abgeschiedenheit – unterwegs im Kantabrischen Gebirge

Almen und bewirtschaftete Hütten sucht man vergebens in dem Gebirge, das den grünen Norden vom Rest Spaniens trennt. Die Unaufgeregtheit, die es vermittelt, tut gut

Nach knapp vier Minuten Fahrt erreicht die Seilbahn die Bergstation von Fuente Dé. Gut 750 Höhenmeter hat die Gondel überwunden, als sie uns auf 1.823 Metern über NN auf eine Hochebene entlässt. Die empfängt uns mit Wind, der unsere Schals zum Flattern bringt. Fürs Foto müssen wir sie festhalten, damit sie uns nicht um die Ohren fliegen.

Blick von der Bergstation herunter auf die Talstation von Fuente Dé im Kantabrischen Gebirge. Sie überwindet gut 750 Höhenmeter
Blick auf die Talstation von Fuente Dé (Foto: C. Kreutzer)

Unter uns liegt das Tal des Río Deva. Linker Hand blicken wir Richtung Kantabrien, zur Rechten beginnt wenige Kilometer entfernt Kastilien-León, die Region, in der die weite, karge Hochebene, Meseta, liegt, durch die der bekannteste aller Jakobswege, der camino francés, führt. Im Talboden ist ein schmaler Streifen frisches Grün zu sehen, aber die bewaldeten Hänge zu beiden Seiten des Tals sind noch kahl. Wir sind gekommen, um zu wandern. Den ersten Teil haben wir es uns bequem gemacht und eben die Seilbahn genutzt. Von der Bergstation werden wir in einem Bogen über das Seitental des Río Nevandi zur Talstation zurück wandern.

Blick von der Bergstation Fuente Dé nach Kantabrien
Blick von der Bergstation Richtung Kantabrien … (Foto: C. Kreutzer)
Blick von der Bergstation Fuente Dé nach Kastilien-León
… und Richtung Kastilien-León (Foto: C. Kreutzer)
In den Picos de Europa

April im Kantabrischen Gebirge. Auf einer Länge von 480 Kilometern erstreckt es sich von Galizien bis zum Baskenland. Die höchsten Gipfel erreichen Höhen von über 2.500 Metern. Im Inneren des Gebirges liegen die Picos de Europa, zu denen auch die Bergwelt oberhalb von Fuente Dé zählt. Sie genießen gleich doppelten Schutz, denn die UNESCO hat sie zum Biosphärenreservat erklärt, der spanische Staat zum Nationalpark.

Von einem beschneiten Plateau blickt man auf eine Bergkette
Aussteigen auf 1.823 Metern über NN. Mitte April liegt noch Schnee (Foto: C. Kreutzer)

Am Rande der Hochebene, auf der wir uns befinden, erheben sich mehrere Berggipfel, zusammen mit Bergketten jenseits des Deva-Tals vermitteln sie den Eindruck, auf dem Dach der Welt zu stehen. Gäbe es den Begriff nicht schon für das Hochland von Pamir, hier oben könnte man ihn neu erfinden. Vom Winter liegt noch Schnee und je weiter wir uns von der Seilbahn entfernen, desto dicker wird die Schneedecke.

Blick zurück zur Bergstation
Ein Blick zurück über die Schulter Richtung Bergstation (Foto: C. Kreutzer)

Auf den ersten paar hundert Metern verteilen sich die Menschen aus der Gondel und schon bald sind wir alleine unterwegs. Bis wir im Nachmittag unser Ziel erreichen, begegnen wir niemandem mehr. Im Gegensatz zu den Alpen und den Pyrenäen ist das Kantabrische Gebirge außerhalb von Spanien nicht sehr bekannt. Massentourismus kennt man hier – wie an der gesamten spanischen Atlantikküste – nicht.

Auf einem schneefreien Weg ist eine Familie mit einem kleinen Kind unterwegs. Rechts und links des Weges liegt Schnee, im Hintergrund sind Berge zu sehen
Wie so oft um Seilbahnstationen: Mit zunehmender Entfernung sind immer weniger Ausflügler unterwegs (Foto: C. Kreutzer)
Der Weg hat sich zu einem schmalen Schneepfad verengt
Um die nächste Ecke ist keine weitere Menschenseele mehr unterwegs (Foto: C. Kreutzer)

2020, unter Corona-Bedingungen, entdeckten viele Spanier aus anderen Regionen das Gebirge. Da die Infektionszahlen im benachbarten Asturien, das größtenteils vom Kantabrischen Gebirge eingenommen wird, niedrig waren, kamen viele zum Urlaub in das Gebiet. Nicht alle waren eingefleischte Bergwanderer: In der Zeitung war zu lesen, dass sie teilweise in chanclas, Flipflops, unterwegs waren.

Kein Cappuccino auf 1.500 Metern Höhe

Wer zu Wanderungen aufbricht, muss für Proviant sorgen, denn anders als in den Alpen, gibt es keine Almen und bewirtschafteten Hütten, in denen man einkehren kann. So sehr ich es schätze, in den Alpen auf Almen und Hütten einzukehren, so sehr genieße ich in Asturien und Kantabrien, dass es keine gibt. Dieses Gefühl wandert bei den Wanderungen immer mit und macht die nordspanische Bergwelt zu etwas Besonderem.

Das Foto zeigt einen Gipfel bei Fuente Dé
Die nordspanischen Berge sind touristisch weniger erschlossen als die Alpen. Das Gefühl der Abgeschiedenheit wandert auf angenehme Art und Weise mit (Foto: C. Kreutzer)

Überhaupt wird das Gebirge nicht in dem Maße touristisch vermarktet wie die Alpen. In etwas größeren Orten in den Haupttälern verkaufen kleine Läden Postkarten, Kühlschrankmagnete und lokale Produkte wie Honig oder Käse, in kleineren Orten in den Hochtälern findet man jedoch nichts dergleichen, selbst wenn es in einigen Orten Bars gibt, an denen man nach der Wanderung einen Kaffee oder etwas Erfrischendes trinken kann.

Wir setzen unseren Weg über den Schnee fort. An einer steileren Passage ist Trittsicherheit gefordert. Mittlerweile haben wir dem Tal des Río Deva den Rücken gekehrt und wandern in Richtung Zentrum der Picos.

Schneefelder und steiles Geländer erfordern Trittsicherheit
Schneefelder und steile Abhänge machen Trittsicherheit erforderlich (Foto: C. Kreutzer)
Beim Abstieg eröffnet sich der Blick auf die andere Seite der Berge
Beim Abstieg eröffnet sich der Blick auf die andere Seite der Berge (Foto: C. Kreutzer)
Königlicher Besuch

Der Wind verstärkt sich und weht teilweise in Böen, gegen die wir uns stemmen, um nicht umgeweht zu werden. Ein paar Mal halten wir nach dem Weg Ausschau als ein Gebäude mit rotem Dach auftaucht, das uns Orientierung gibt. Der Wanderführer informiert uns, dass es Chalet Real, königliches Landhaus, genannt wird, weil einst König Alfonso XIII während der Jagd in ihm abstieg.

Ein stattliches Haus aus Haupthaus und zwei Nebengebäuden steht vor einer Kulisse aus Bergen
Wurde einst als Unterkunft für Bergleute errichtet: das Chalet Real. Insbesondere in Asturien wurde Steinkohle abgebaut (Foto: C. Kreutzer)

Als wir es erreichen, hat sich der Wind gelegt. Kurze Zeit später erscheint auch schon das nächste Gebäude, das Hotel Áliva, doch die Türen und Fenster sind fest verschlossen, kein Mensch ist in Sicht. Es ist erkennbar aus Steinen aus der Umgebung gebaut und mit seinem lindgrünen Dach und den lindgrünen Fensterläden passt es sich der Landschaft an.

Das Hotel Áliva bietet 70 Plätze zum Übernachten
Bietet 70 Plätze zum Übernachten: das Hotel Áliva (Foto: C. Kreutzer)

Der Schnee ist mittlerweile bis auf wenige Flecken gewichen. Als wir in einer Senke vor dem Hotel Áliva Pause machen, blühen um uns herum kleine Narzissen zu Hunderten. Sie stehen etwa Handbreit von einander entfernt und bilden einen lockeren Blütenteppich. Auch scheinen sie das einzige Lebenszeichen zu sein: Weit und breit ist kein Baum, ja noch nicht einmal ein Strauch zu sehen.

Ein Weg führt durch eine baumlose Landschaft
In einem Reiseführer über die nahe gelegene Region Asturien ist zu lesen, dass Grün und Grau vielfältige Schattierungen annehmen. Das Foto liefert eine kleine Auswahl (Foto: C. Kreutzer)
Grünland ohne Sträucher und Bäume
Vermittelt einen steppenartigen Eindruck: Strauch- und baumlos, kurzes Gras (Foto: C. Kreutzer)

Stattdessen zeigt sich das kurze Gras in blassem Grün und die Felsen des vor uns liegenden Bergrückens in Grau. In einem Reiseführer über Asturien ist treffenderweise zu lesen, dass beide, Grün und Grau, vielfältige Schattierungen annehmen. Der Landschaft tun die blassen Farben gut, denn sie verleihen ihr eine wohltuende Bescheidenheit und Zurückhaltung.

Der Frühling kommt

Wir schwenken auf einen Weg in das Tal des Río Nevandi ein, mehr ein Rinnsal denn ein Bach, aber geologisch bildet sein Tal die Trennlinie zwischen Zentralmassiv und östlichem Massiv.

Entlang des Baches Nevandi wird das Grün saftiger
Das Grün wird saftiger entlang des kleinen Baches Nevandi (Foto: C. Kreutzer)
Nach einigen schnurgeraden Abschnitten schlängelt sich der Weg nun wieder
Nach einigen schnurgeraden Abschnitten schlängelt sich der Weg nun wieder (Foto: C. Kreutzer)

Wenig später erreichen wir Portillas del Boquejón, ein Tor, von dem nur noch die Torpforsten stehen. Eine kleine Brücke führt uns über den Bach. Ein Wegweiser zeigt den Weg nach Fuente Dé an.

Ein Wegweiser zeigt an, dass es bis Fuente Dé eindreiviertel Stunde dauert
Knapp zwei Stunden bis Fuente Dé (Foto: C. Kreutzer)

Wir sind zurück im Tal des Río Deva und die Landschaft ändert sich schlagartig. Es ist als würde das Tor dafür sorgen, dass es eine scharfe Trennlinie zwischen dem lieblichen Unten und dem kargen Oben gibt: Sträucher und Bäume überziehen die Hänge, ein, zwei Steinwürfe entfernt liegen Steinhäuser mit roten Dächern versprenkelt im Wiesenhang. Hätten wir nicht schon eine Pause eingelegt, das Tor, die Brücke wäre ein idealer Ort dafür.

Ein erster Strauch erscheint im Bild. Im Hintergrund sind bewaldete Berghänge und eine Bergkette zu sehen
Die ersten Sträucher tauchen wieder auf (Foto: C. Kreutzer)
Die Bäume und Sträucher entlang des kleinen Baches Nevandi sind noch kahl. Dennoch liegt Frühling in der Luft
Natur in der Schwebe: nicht mehr ganz Winter, noch nicht ganz Frühling. Es dauert nicht mehr lange und die Bäume schlagen aus (Foto: C. Kreutzer)

Die Häusergruppe wird als Invernales de Igüerdri bezeichnet. Invernales dienten früher als Heuspeicher und dem Vieh als Unterstand. Heute sind sie typisch für die ländliche Architektur in Asturien und Kantabrien, auch wenn sie ihre Funktion weitgehend eingebüßt haben.

Wie drei Bänder: oben Schnee, in der Mitte Wald, unten Weiden. Die Landschaft bietet abwechslungsreiche Eindrücke
Himmel, Schnee, Wald & Weiden (Foto: C. Kreutzer)
Sogenannte Invernales dienten früher als Viehunterstand und Futterspeicher. Sie sind aus Stein gebaut, ihre Dächer häufig aus roten Ziegeln
Früher handfester Nutzen, heute bereichern sie die Landschaft der beiden Regionen Kantabrien und Asturien: die Invernales, Hütten aus Stein, die als Viehunterstand und Futterspeicher dienten (Foto: C. Kreutzer)

Von jetzt an laufen wir durch lichten Wald. Die Sonne scheint und trotz der kahlen Zweige läßt sich erahnen, dass der Frühling kurz vor der Tür steht. Der Weg wird immer abwechslungsreicher, zum zügigen Durchwandern ist die Umgebung viel zu schade.

Zwischen die kahlen Äste hindurch erscheint dahinter ein Berghang, der im unteren Bereich mit Wald bewachsen ist. Oben sind die Hänge teils schneebedeckt
Der Vorteil von kahlen Ästen ist der fast unverstellte Blick ins Weite (Foto: C. Kreutzer)
Kahle Sträucher rechts und links des Weges rahmen den Weg ein
Sträucher rahmen den Weg ein (Foto: C. Kreutzer)

Durch die lichten Äste und Zweige fällt reichlich Sonne und kurz vor unserem Ziel tauchen an den Bäumen und Sträuchern die ersten Blüten auf – die Natur läßt sich beim Erwachen zusehen.

An einem Strauch erscheinen erste Knospen
An den Zweigen in tieferen Lagen öffnen sich erste Knospen leicht (Foto: C. Kreutzer)
Ein Baum blüht
Noch etwas tiefer und die ersten Blüten sind entfaltet (Foto: C. Kreutzer)


Tipps & Links
Infomaterial & aktiv unterwegs
NO 1: Die offizielle Seite Kantabriens bietet anhand einer interaktiven Karte einen guten Überblick über die Geografie (zu finden ist die Karte unter dem Menüpunkt „Entdecke es“).

Ebenso steht eine Broschüre mit Wander- und Radrouten in Englisch und Spanisch zum Herunterladen bereit. Allerdings muss man dazu ein Formular ausfüllen: Bei „Autonome Gemeinschaft“ und „Provinz“ lassen sich nur spanische Orte auswählen. Mein Tipp: irgendetwas auswählen.

NO 2: Die Macher und Macherinnen der offiziellen Seite Asturiens haben sich sehr ins Zeug gelegt und das mit Erfolg. Die Seite gibt es auf Deutsch. Unter „Entdecken Sie“ und „Landtourismus“ gelangt man zu einer gelungenen Übersicht über Asturien. Der Westen, Osten und die Mitte Asturiens werden in anschaulichen Kurzporträts vorgestellt.

Unter „Entdecken Sie“, „Natur“ und „wandern“ stehen 106 Wanderrouten mit Höhenprofil, Wegbeschreibung zur Verfügung. Streckenführungen herunter ladbar als KML- und GPX-Dateien.

Auch wenn ich auf Reisen immer mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin: Die Rundreisen mit dem Auto sind hervorragend ausgearbeitet: sehr übersichtlich und informativ dargestellt, mit Karte, Entfernungsangabe, geschätztem Zeitbedarf und einer Zusammenfassung der Sehenswürdigkeiten.

Unter „Plane Deine Reise“ und „Broschüren“ stehen fabelhafte Broschüren auf Deutsch zum Herunterladen zur Verfügung. Anders als auf der Website von Kantabrien braucht man dafür seine Daten nicht preiszugeben.

Apps bei Apple & Google unter „turismo de asturias“ herunterladbar.

ÖPNV
NO 3: Um den Individualverkehr zu beliebten Ausflugszielen in den Picos de Europa zu reduzieren, bietet ein Konsortium von Transportunternehmen in Asturien für die Strecken Cangas de Onís – Los Lagos de Covadonga und Arenas – Poncebos Busverbindungen an. Ticketpreise unschlagbar günstig.

Last but not least
NO 4: Eine schön gestaltete Website über Kultur und Geschichte Kantabriens, inklusive wissenschaftlicher Quellenangaben, auf Spanisch.

NO 5: Und zum Schluss zurück nach Fuente Dé: Wer sich vom Sofa aus die Bergstation von Fuente Dé ansehen möchte, werfe einen Blick durch die Webcam.

Und nun zu Euch, liebe Leserinnen und Leser:
Wer hatte schon einmal das Glück, im Kantabrischen Gebirge zu wandern? Was hat euch am besten gefallen? Wer Fragen hat, kann sich gerne bei mir melden – auch per Mail.


Wer über neue Beiträge auf „reisen & erzählen“ informiert werden möchte, der abonniere den RSS-Feed (zu finden in der Fußzeile).


Hat dir der Artikel gefallen? Weitere Spanien-Artikel gibt es hier:
Kataloniens Unbekannte: Vulkanlandschaft zwischen Costa Brava und Pyrenäen
Flusslandschaft vor Romanik
Baskenland einmal kreuz und quer


One Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert